Wandern im Regen ist es noch mehr. Und blöd ist, wenn zum Nebel noch Wind und Kälte hinzukommen.
„Das ist kein Grund zum Jammern“, sage ich dann. Ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand über das Wetter meckert. „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt…“
„Es gibt nur die falsche Kleidung“, ergänzt dann Michael, der diesen Satz schon oft aus meinem Mund gehört hat …
An diesem Tag fuhr ich bei wolkenfreiem Himmel zuhause los. Ich wollte auf den Berg. Als ich einige Zeit später am Ausgangsort meiner Wanderung ankam, herrschte dort Nebel und – es war kalt. Das hatte ich nicht vorhersehen können. Das ist Pech, dachte ich. Mir war trotzdem nach Berg und einer Wanderung. Die Luft roch schwer und kalt, irgendwie nach Rauch. Eigentlich hatte ich nicht vor, bei solchem Nebel und nasser Kälte durch den Wald und den Berg hochzuwandern. Aber jetzt war ich hier und vielleicht war es ja auch einmal witzig im Nebel, redete ich mir ein. Vielleicht würde ich ja ein paar Feen, Nebelgeistern oder sonst wem begegnen …
Es war dann witzig. Sehr witzig. Kalt und nass, denn es hatte jetzt auch zu nieseln begonnen. Ich wollte mich nie über das Wetter beklagen, doch nun wurde es mir schon etwas mulmig. Dichter Nebel hüllte alles ein: Bäume, Sträucher, Tannen, einfach alles. Den Pfad in der Nebelwaldwelt, die dunkelgrünen Tannen und kahlen Laubbäume erahnte ich mehr, als ich sie sah. Alles verschwand in diesem düsteren Nebelgrau und ich sah nur gerade meine Hand klar vor dem Gesicht. Alles war erst wirklich sichtbar, wenn ich direkt davorstand. Der Waldpfad war nass und dicht mit braunem Laub bedeckt, die Nebelfeuchte und der Nieselregen drangen in den Boden. Das feuchte Laub raschelte nur wenig unter meinen Schuhen. Da – filigrane, grüne, feuchte Farnblätter am Wegrand leuchteten mir entgegen. Wasser tropfte von den Tannen. Die Vögel hatten sich zurückgezogen. Die Luft war still. Aber es knackte und zischte, ein bisschen unheimlich klang es schon, so wie in einem Zauberwald mit vielen Geistern. Glaubte ich an Nebelgötter? Feen? Geister?
Hatte ich den Pfad eingeschlagen, den ich sollte? Wohin führte mich dieser Weg? Ich beschäftigte meinen Verstand mit diesen Fragen. Vor einigen Minuten bog ich nämlich ab in den Wald, ohne zu wissen, ob das richtig war. Es war der einzige Weg und mein Kartenmaterial nützte mir gerade absolut nichts. Der Nebel forderte mich echt heraus. Er hüllte mich vollkommen ein, machte mich unsichtbar für alles. Ich beschloss, darauf zu vertrauen, dass ich ankommen würde, wo ich hinwollte und wanderte weiter. Der Nebel wurde dichter und düsterer.
„Willst du mich herausfordern? Wollen wir herausfinden, wer der Stärkere ist?“, redete ich laut zum Nebel. „Willst du, dass ich den Weg trotz deiner Anwesenheit finde?“, sagte ich herausfordernd. Was sollte ich nur machen? Weitergehen oder besser Zurückgehen? Ich zweifelte stumm.
Nebelschwaden lösten sich. Da! Der Nebelfetzen, er sah aus wie eine Hand, und griff nach mir!
„Oh, nein! Nein!“, rief ich der Hand zu und wich zurück. Die Hand winkte mir zu und waberte an mir vorbei, den Weg zurück, den ich gekommen war. Verschwand einfach. Löste sich auf! Unheimlich!
Auf einmal hörte ich es. Tang – Tang – Tang – Tang … Ein rhythmisches Schlagen und sein Echo erklangen rund um mich herum. War es nah oder weit weg? Wo auf einmal kam das denn her?
Die Nebelhand hatte gesprochen! Ich kehrte um. Den Weg zurück, den ich gerade gekommen war. Düster und Grau war alles. Würde ich da wieder ankommen, wo ich herkam?
Tang – tang – tang – ta-tang! Das bedeutete Menschen. Wo waren sie denn? Im Nebel kam das Echo an. Ich vermochte nicht zu sagen woher. Plötzlich stand ich am Waldrand. Die Wiese vor mir, die ich nicht habe kommen sehen. Die Landschaft lag düster da. War es die gleiche Landschaft, von wo ich herkam? Auf der grün-grauen Wiese zog mich der dunkle Schatten magisch an. Beim Nähergehen sah es mehr und mehr aus wie ein kleines Lebkuchenhaus, das sich beim Näherkommen als Insektenhotel entpuppte.
Tang – Ta-Tang – Tang – Ta-Tang. Ich wanderte weiter dem Schlagen entgegen. Was war das? Würde ich es finden? Unverhofft gelangte ich auf eine Strasse, sah links und rechts kaum zehn Meter weit. Meine Sinne waren geschärft. Eine Strasse musste ja irgendwohin führen. Sie war dunkel und nass vom Nebel, der einfach nicht wich. In welche Richtung gehen? Das Schlagen … Meine Schritte ertönten sehr laut in meinen Ohren. Die Strasse verschwand im Grau, als löste sie sich auf. Und mit jedem Schritt blieb sie immer gleich lang. Nichts veränderte, auch nicht das Echo der Schläge. Wie weit war es noch? Wohin die Strasse mich auch führen sollte, ich vertraute darauf, dass ich ankam.
Und dann auf einmal erschienen im Nebel zwei Schatten, zuerst hellgrau, dann wurde es orange Kleidung, die sie trugen. Zwei Männer. Sie standen breitbeinig auf der Strasse, hoben mit beiden Armen ihren Vorschlaghammer hoch über den Kopf und liessen ihn mit dem Schwung ihres Körpers wieder hernieder sausen, als würden sie Holz hacken.
Gemeindemitarbeiter. Sie hämmerten die Strasse auf. Ein Dorf konnte also nicht weit sein, welches auch immer es war. Ich blieb bei ihnen stehen: „Wo finde ich das nächste Dorf?“, fragte ich verzagt. Sicher komme ich ihnen vor wie ein Geist, so plötzlich, wie ich auftauche, dachte ich.
„Da hinten in der Kurve, rechts abbiegen und ungefähr einhundert Meter gerade aus.“, sagte einer der Männer. Diese Strasse, die in der Kurve abging, hatte ich im Nebel verpasst. Jetzt wanderte ich eben zurück. Zehn Minuten später erschienen grosse, dunkle Gemäuer aus dem Nebel. Die Strasse führte mich zum Dorfplatz, wo ich die einzige Busstation fand. Einige Schattenfiguren flogen an mir vorbei, während ich wartete und mich nicht mehr vom Platz fortbewegte …
Die Sicht aus dem fahrenden Bus reichte gerade mal bis zum nächsten weissen Strassenmarkierungspfosten, der die Autolichter von den schwarzen Streifen zurückreflektierte. Auf der Landstrasse fuhren uns die Autos entgegen, die Lichter erschienen erst langsam und schwach aus dem Nebel, dann waren sie mit einem lautlosen „Plopp“ plötzlich da und fuhren vorbei. Kahle Bäume lagen erst hell im Nebelschatten und je näher wir kamen, desto dunkler wurden sie.
Schon lange hatte ich mich nicht mehr so auf die warme Stube gefreut, wie jetzt. Auf Kerzenlicht. Auf Kaffee und selbstgebackenem Kuchen.
Der neblig kalte Tag – dem fuhr ich davon. Der Nebel, er zog irgendwann weiter – der Berg, der blieb …