Gedanken zum November

Vor dem Fenster meines Schreibzimmers welken und fallen die Blätter. Die Natur stirbt.

Aber – gerade war doch noch Sommer! War ich auf dem letzten Gartenfest, habe ich das letzte Glacé gegessen, bin ich das letzte Mal barfuss nach draussen gelaufen …
Natürlich habe ich gespürt, wie die Tage kürzer, die Abende kühler und die Kraft der Sonne fühlbar geringer geworden sind.
Und jetzt – verabschiede ich mich auf einmal von der hellen Jahreszeit?

Der Herbst mit seiner bunten Pracht und Fülle ist dieses Jahr viel zu schnell davongeschlichen. Gerade habe ich noch eingemacht: Früchte, Gemüse, Kürbisse, Pilze. Ein Buffet an Schlemmereien liegt in meinem Keller als Wintervorrat parat und wird mir helfen, über den Winter zu kommen. Ich habe den Herbst auf ausgedehnten Spaziergängen in vollen Zügen genossen. Die Sonne im Gesicht gespürt, mich der sanft streichelnden Strahlen im Gesicht erfreut und gleichzeitig den Wind gefühlt, der mitunter schon ganz schön frisch um die Ecken pfeift.
Ich habe die Farbvielfalt des Herbstlaubes gesehen, den Glanz und die unglaublichen Braunschattierungen zu Boden gefallener Rosskastanien, das leuchtende Rot der Hagebutten. Spinnweben, die von kleinsten Wassertropfen in glitzernde Kunstwerke verwandelt werden. Ich habe das Aroma frischer Pilze gerochen, die nebelfeuchte Erde in Wald und Wiese. Ich habe das Rascheln des Herbstlaubs unter meinen Füssen oder sein sanftes Knistern gehört, wenn es heruntergefallen ist. Ich habe die Früchte des Herbstes geschmeckt, Beeren, Esskastanien und essbare Pilze gesammelt.

Und jetzt – nähere ich mich dem Winterhalbjahr, der Ruhephase des Jahres. Es ist November geworden. Wolkenverhangene Tage, strömender Regen, Herbststürme und lange Nächte halten Einzug. Das dunkle Winterhalbjahr schreitet voran.

Die Gartenmöbel sind versorgt, Terrassen und Balkone aufgeräumt im Wissen, der nächste Sommer kommt bestimmt. Auch der Garten ist abgeräumt und der Boden für den Winter vorbereitet, Sträucher geschnitten, eingepackt … Meine Aktivitäten verlege ich ins Innere des Hauses. Mein Körper passt sich den neuen klimatischen Bedingungen an, ich organisiere meinen Alltag neu, wechsle Kleider und Schuhe aus, denke um und sortiere meine Gefühle.

Von der hellen zur dunklen Jahreszeit zu wechseln, bedeutet ganz schön viel Arbeit und Veränderung, nicht nur im Aussen. Gefühlsmässige und emotionsgeladene Gewitter und Stürme entladen sich jetzt genau wie die Herbststürme draussen. Und ich merke, dass ich mich energiegeladener fühle, weil ich im Sommer aufgetankt habe. Ich bin bereit, die dunkle Jahreszeit zu geniessen. Die Ruhephase Winterhalbjahr.

Dieser Übergang schenkt mir Gefühle von Dauerhaftigkeit, Stabilität, Orientierung und Sicherheit. Die Pflanzensäfte der Sträucher, Blumen und Gräser werden jetzt in die Wurzeln zurückgezogen. Wie die Natur ziehe auch ich mich zurück und fahre mein Tempo herunter. Ich brauche dies, sonst werde ich krank. Ich will ja meinen Seelenfrieden behalten!

Ich schotte mich nach aussen ab um mich zu schützen, so dass ich keinen Grund habe, im täglichen Leben meine Schwachstellen zu verbergen. Gerade so, als würde ich mir ein dickeres Fell zulegen. Meine Aufmerksamkeit wende ich mehr dem kleinsten Kreis meiner Liebsten zu. Als wäre ich eine Schmetterlingsraupe, die ihr privates, häusliches und intimes Netzwerk spinnt. Ich freue mich darauf, den Tag im engsten Familien- und Freundeskreis zu beenden, entspannt bei einem Glas Wein oder bei einem gemütlichen Spaziergang und vielen anderen Dingen, die mein Herz erwärmen, stärken und mir Freude bringen. Mein Leben wird im Schutz der warmen Wohnung stattfinden, wo ich mich gemütlich einrichte.

Gehe ich nach draussen, schütze ich mich gegen Kälte und Feuchtigkeit. Die Erde tut das ja auch, indem sie die Wärme nach Innen zieht und sich mit einem Mantel von Frost, Kälte und Schnee zudeckt, um die Millionen von Sämlingen in ihr zu beschützen!

Jedes Jahr aufs Neue ist dies eine Zeit, in der ich mein seelisches Gleichgewicht erneuere. Ich staune immer wieder, wie die Natur das Innere spiegelt und wie ich das im Herbst in besonderem Masse wahrnehme.


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