Die Schleuse ist geöffnet

Warum ich schreibe? Über was ich schreibe? Ich dachte bisher nie wirklich darüber nach, ich schrieb einfach. Doch ich fand, es würde mir jetzt einmal ganz gut tun, mich über die Frage Gedanken zu machen. Mir die Zeit zu nehmen – ich war überzeugt, es konnte nur Überraschungen über mich selbst zutage fördern. Und wie immer, wenn ich nachdachte, schrieb ich …

Warum schreibe ich? Schon als Kind las ich alles, was mir in die Finger kam. Die Liebesromane meiner Mutter, die ich beim Betten machen aus ihrer Nachttischschublade klaute und heimlich las. Natürlich waren sie keine Kinderlektüre. Doch der Sinn davon, warum ich sie las, offenbarte sich mir erst sehr viel später. Ich holte mir unerlaubt Bücher aus der Schulbibliothek und las sie nachts unter meiner Bettdecke im Licht der Taschenlampe und gehend auf dem Schulweg. Mein damaliges Umfeld war von Büchern keineswegs begeistert. Ich wuchs auf einem Bauernhof auf, Bücher und Lesen hatten keinen Platz. Lesen bedeutete „keine Arbeit haben“ und wenn sie mich erwischten, sorgten meine Eltern dafür, dass ich arbeitete. Aber ich lernte mehr für mein Leben aus Büchern als meine Eltern mir mitgeben konnten. Ich realisierte, dass in jedem Buch eine Wahrheit steckte, die für mich persönlich war. Wenn ich wollte, konnte ich sie entdecken. Ich las heimlich Bücher, die mich etwas lehrten …

Seit ich als junge Frau mein Elternhaus verlassen hatte, schreibe ich. Tagebücher. Ich schrieb mir damit meine Sorgen, Ereignisse und Lebensfragen von der Seele. Ich lernte, erkannte, orientierte mich und entschied. Schreibend kam so meine Berufswahl, mein beruflicher Werdegang, mein Lebensweg zustande. Ich stellte mir auch vor, ich würde selber Bücher schreiben. Doch dieser Traum musste vorerst warten. Ich musste mir doch jetzt erst meinen Lebensunterhalt verdienen. Doch wo auch immer ich wohnte und lebte, es gab stets eine Ecke und später das Zimmer, das ich meine Bibliothek, Lese- und Schreibzimmer nannte.

In der Mitte meines Lebens kam die grosse Lebenskrise und beschäftigte mich über mehrere Jahre. Ich wusste anfangs nicht, ob ich sie überleben würde. Mein Arzt ging nicht davon aus. Ich schlug ihm ein Schnippchen und tat es. Ich wurde gesund, weil ich meinen eigenen Weg ging. Ich schrieb weiter. Jeden Tag. Um meine Gedanken zu ordnen. Um mit all dem fertig zu werden, was damals in meinem Leben passierte. Es half, die Dinge auf den Boden zu bringen und ich beschloss, dass daraus ein Buch werden sollte. Da war diese Krankheit, von der alle Welt auch heute noch spricht und von der niemand weiss, was es eigentlich ist. Nicht mal die Ärzte wissen es. Ich kam ihr auf die Spur, an ihre Ursachen und auf einmal war alles anders als ich dachte. Die Krankheit ist einfacher zu verstehen, als alle meinen, und doch so kompliziert, weil sie sehr persönlich ist. Ich wollte die Wahrheit in die Welt hinausrufen. Kein betroffener Mensch hat es verdient, deswegen mit Medikamenten vollgestopft in Kliniken eingewiesen und ruhig gestellt zu werden. Denn das ist das, was passiert. Ich beabsichtigte, ein Buch aus meinen Notizen entstehen zu lassen, um die „Wahrheit“ in die Welt zu rufen …

Diese intensive Phase war wie eine 180°-Kurve in meinem Leben, die ich nicht kommen sah. Die Lebenskrise war die Notbremse und das Leben wies mir eine komplett andere, eine komplett neue Richtung als sie bisher war. Ich nahm diese Kurve und ging. In meine eigene Richtung. Nicht mehr in die von anderen.

Ich absolvierte die Ausbildung zur Komplementärtherapeutin und arbeitete mit Menschen in meiner Praxis bis – eine Pandemie kam. Das behördlich verordnete Berufsverbot zwang mich, meine Praxis aufzugeben. Krisen sind auch Chancen, wenn du bereit bist zu sehen – sage ich stets. Doch diesmal ist es nicht meine Krise. So viel steht fest. Und doch ist es eine Krise, die mein Leben massiv beeinflusst. Welche Chance habe ich jetzt? Das würde ich bald erfahren.

In den Sommerferien 2021 las ich DAS Buch. Es stand dort im ansehnlich gefüllten Büchergestell: Köchin mit Landsitz von Margaret Evans. Ausgerechnet übers Kochen. Darin beschreibt die Autorin, wie sie tief im Lande Wales darauf kommt, nicht mehr zu kochen sondern, Bücher zu schreiben. Es ist erstaunlich. Es ist ein einziger Satz und er zündet meine Gedanken.

„Ich will schreiben.“ Peng. Warum kam ich nicht vorher auf diese Idee?

Ich war zu beschäftigt. Mit Arbeiten. Mit Geld verdienen. Mit anderen Dingen. Doch jetzt ist die Schleuse geöffnet. Die Zeit zu Schreiben ist gekommen. ENDLICH!

Über was ich schreibe? Geschichten aus dem Leben, die wie das Kochen und die Ernährung zu uns gehören. Geschichten, die ich als Wanderin erlebe. Über die grossen und kleinen Geschichten eines Lebens. Über die Menschen, die ich getroffen habe. Über das manchmal wahnsinnige, herausfordernde und trotz allem wunderbare, lehrreiche Leben. Und – am liebsten von Menschen, die an einem schwierigen Punkt im Leben angekommen sind.

Es ist der richtige Entscheid. Ich lese gerade von Dingen, die mich unterstützen werden, mit guter Strategie und Struktur zu schreiben. Meinen eigenen Schreibstil zu finden. Meine innere Stimme wartete so lange darauf, dass ich endlich schreibe. Ich habe ihr ganz einfach nicht zugehört. Jetzt höre ich sie laut und deutlich.

Fangen wir also an…